Schwesig: Keine Angst vor Verantwortung?

Aber hoffentlich Respekt! MV braucht dringend Kurswechsel

Die Ehrenamtler im Ländlichen unseres Bundeslandes werden weniger.
Fußball-Schiedsrichter zum Beispiel. Auch 72 Feuerwehren wurden aufgelöst. Kein Grund zur Sorge, beruhigte der Landes-feuerwehrverbandschef, Hannes Möller, die Einsatzfähigkeit sei prinzipiell gegeben.
Das liegt daran, dass die jungen Menschen wegziehen, weiß unser Innenminister, Herr Caffier, zu erklären. Ja, warum denn bloß ziehen die Jungen weg vom Lande?

Nun, was bei den Feuerwehren noch klappt, ist in der Großen Koalition (GroKo) unserer Landesregierung seit Jahren nicht mehr gegeben, denn die hat noch nicht einmal gemerkt, dass es brennt oder ist überzeugt, das Feuer werde schon von alleine wieder ausgehen.

Die AfD zum Beispiel. Hatten sich in der Landtagswahl 2013 „nur“ 5,6% der Wähler für diese Partei entschieden, waren es 2016 bereits 20,8%. Das Wehklagen war groß. Protestwähler, im Wesentlichen. Natürlich. Die alte GroKo war noch einmal mit einem blauen Auge davon gekommen.
Im Januar dieses Jahres ermittelte die Forsa GmbH im Auftrag der Ostseezeitung auf die „Sonntagsfrage“ hin 19%, nun, im Juli, die INSA Consulere GmbH für den Nordkurier 22% potentielle AfD-Wähler. Merkst selbst? Wohl so ziemlich jede/r – außer der GroKo.

Herr Dahlemann zum Beispiel. Parlamentarischer Staatssekretär für Vorpommern. Der startete zum 31.07. seine „Vorpommerntour“ (http://www.regierung-mv.de/Landesregierung/stk/Presse/?id=129708&processor=processor.sa.pressemitteilung). Tolle Stationen! 31.07. Neu Boltenhagen: Frühstück mit dem Bürgermeister und ….? Richtig, dem Feuerwehrchef! Dann ein Rundgang durch die Gemeinde. 03.08. Schlösser und Gutshäuser gucken. 04.08. Wirtschafts-Tag. Die Erfolgsstories Modellbau, Sportbögen, Körbe, Startup Digitack. 07.08. Engagement-Tag: Organisation zur Arbeitsförderung und Strukturentwicklung, DLRG. 10.08. Kultur-Tag: Otto-Niemeyer-Holstein-Museum, Runge-Haus. 11.08. Fachkräfte-Tag.
Finde den Fehler!
Wo sind denn eigentlich die Probleme? Läuft doch alles! Wir sind schon klasse, wir von der Landesregierung. Wie wäre es denn mit Besuchen an Plätzen, an denen es klemmt, infrastrukturell und sozial. Wie wäre es denn mal mit einer Einladung der Menschen in eine Turnhalle inklusive Diskussion der Nöte und Sorgen? Dann hätte Herr Dahlemann auch was Sinnvolles zu erzählen, zu Hause in Schwerin.

Seiner neuen Chefin zum Beispiel. Aber die kennt sich ja sowieso schon aus in MV. Deswegen weiß Ministerpräsidentin Schwesig ja auch, wie es weitergehen soll. Nämlich so wie bisher. Sie formulierte das in ihrer Regierungserklärung am 12.07. (https://www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/Schwesig-gibt-Regierungserklaerung-ab,schwesig484.html) nur etwas eleganter, als sie verlauten ließ „auf Kontinuität“ setzen zu wollen. Mit dieser Aussage lässt sich vielleicht auch ihr Bekenntnis im Interview mit dem Tagesspiegel am 03.07., „Verantwortung … macht mir keine Angst, sie macht Spaß.“, besser einordnen. Denn eigentlich darf und sollte Regierungsverantwortung für 1,61 Mio. Menschen schon mit Bedenken einhergehen, vielleicht doch mal einen Fehler zu machen. Doch wer alles schick findet wie es ist und nichts Neues riskiert, der hat selbstverständlich Spaß. Wenn sie kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen.

Vielleicht aber gibt es ja tatsächlich überall Kuchen?
In den ländlichen Regionen unseres Bundeslandes zum Beispiel.
Jobs, ein ausgebautes Netz des öffentlichen Personennahverkehrs, KiTas und Schulen, Gesundheitsversorgung, Internet, Kuchenbäcker an jeder Ecke. Da siedelt sich gerne Gewerbe an. Die Jungen ziehen nur fort, weil sie nicht wissen, wie gut sie es haben.

Und Strom vor der Haustür! Was denkt sich eigentlich Herr Sauder, Bürgermeister aus Krackow, dabei, einen „Wutbrief“ an die MPin zu schreiben, in dem er über 5% Gemeindefläche für Windräder (Landesziel 1,5%) ablehnt, sich beschwert, nicht gehört zu werden und vorgibt, anderen Gemeindevertretern aus dem Herzen zu sprechen? Das Energieversorgungskonzept mit Ausbau von Windkraft-, Solar- und Biogasanlagen wird doch allerorten als sinnvoll und nachhaltig gepriesen. Wir können nicht genug Strom produzieren, der per Trassen nach Süddeutschland transportiert wird und auch sonst reißenden Absatz findet. Und wir merken es ja unmittelbar im Geldbeutel: Dank EEG zahlen wir immer weniger für den Strom – gerade hier in MV! Es ist eine Augenweide, wie sich die technischen Meisterwerke der „Erneuerbaren“ nahtlos in die Natur und zwischen Siedlungen fügen. Die sanft romantischen Mühlen und glänzenden Modulflächen entpuppen sich daher mehr und mehr auch als Tourismusmagneten.
Eben das gilt auch für die riesigen Monokulturflächen der Agrarindustrie. Der Blick des staunenden Betrachters kann in grenzenlose Ferne schweifen. Die Artenvielfalt der Tiere findet ihr Refugium und die kleinen und mittleren Bauern sind froh, ihre unrentabel werdende Arbeit endlich an den effizienteren großen Bruder abgeben zu können, zumal der auch die gesünderen Lebensmittel produziert. Für so eine tolle Sache ziehen die Einheimischen gerne weg und solches einmal im Leben gesehen zu haben zählt zu den Top Ten der touristischen Highlights.

Immerhin ist das Kuschelkonzept von Windrädern, Solarflächen, gigantischen Agrarflächen und deren Umweltschäden mit dem Naturnähe und ein „Gesundheitsland“ suchenden Touristen selbst unserer frisch gebackenen MPin wohl nicht ganz geheuer. So warnt sie, dass „der Strandkorb alleine nicht reicht“ und zukünftige Arbeitsplätze in MV „in der Land- und Ernährungswirtschaft, in der Gesundheitswirtschaft, in der maritimen Industrie und in Zulieferbetrieben für die Auto- und Luftfahrtindustrie“ zu schaffen seien. Im Klartext: Arbeitsplätze gibt’s bei denen, die unser grünes Land zu Grunde richten, und außerdem noch in Wolkenkukucksheim, denn die Frage sei erlaubt, was denn MV z.B. der Automobilindustrie kostengünstiger als andere Bundesländer zuliefern könnte.

Irgendwas für die „Elektromobilität“ vielleicht? Das wäre ja mal eine sinnvolle Überlegung. Immerhin sind derzeit in Deutschland 0,1% Elektroautos unterwegs. Und es werden aus vielen Gründen in kürze sicher viel, viel mehr sein, denn endlich wurde die Knappheit von Lithium für die Akkus nachhaltig gelöst. Das kann nämlich neuerdings aus der Luft gewonnen werden. Daher geht der Trend zum Zehnt-Akku. Wer von Schwerin nach München fahren will, benötigt die bei ca. 100 km Reichweite pro Akku auch, es sei denn, man hängt sich für jeden Ladevorgang ca. 8h an die Elektrotankstelle. Deren Netz wird ja, wie jede/r weiß, rasant ausgebaut. Vielleicht ergeben sich so ja neue Urlaubsmodelle, indem die Zwischenstopps oder 60-70 Stunden Ladezeit elegant für spannende Sightseeing-Touren genutzt werden? Der Massenfertigung von Elektromotoren steht endlich auch nichts mehr im Weg, seit kürzlich der magische Effekt entdeckt wurde, dass die für die Magneten benötigten „Seltenen Erden“ nur in „Häufige Erden“ umgetauft werden müssen, um sie im Überfluss zur Verfügung zu haben. Und schließlich wurden sogar gleich zwei Lösungen für das Laden der Autos in den Städten entwickelt. Während die im Milliarden-Überschuß schwimmende Bundesregierung die Verlegung von Induktions-Ladekabeln durch die Straßenzüge favorisiert, setzen die Baumärkte auf Billig-Verlängerungskabel, die selbst vom 6. Stock locker bis zum Parkplatz reichen.

Alles Unsinn. Vielleicht fällt der Groschen ja irgendwann selbst beim tumbsten Autolobby-Politiker, damit der Weg frei wird zum längst überfälligen Ausbau erschwinglicher Nahverkehrssysteme und deren Vernetzung über schnelle Regionalverbindungen. Nicht neu, aber Jahrzehnte von der Autopolitik hintertrieben. Ein modernes MV sollte nicht der krankenden Automobilindustrie, sondern zukunftsfähig „zuliefern“.

Ganz nebenbei verteilte Frau Schwesig mit ihren Vorstellungen über das Wirtschaftsland MV eine fette „Watschen“ für Minister Glawe, die dieser sicher auch verdient hat. Denn dieser GroKo-Dinosaurier betreibt seit Jahren einfallslose Wirtschaftspolitik, die sich im Wesentlichen auf Häfen und den Küstentourismus beschränkt und dessen „Industrieoffensiven“ sich mehr oder weniger in Werbekampagnen für Investoren erschöpfen. Dabei gäb’s reichlich Potentiale. Warum soll MV nicht mal Vorreiter sein, bei der Entwicklung und Planung neuer Mobilitätskonzepte, von Strategien zur Umweltgerechtigkeit oder zu kollaborativen Gesellschaften? Unsere Hochschulen haben was drauf! Eines der schlimmsten Versäumnisse der letzten Jahre betrifft sicherlich den Internetausbau. Der geht allerdings auf Minister Pegels Kappe. Oder kann der etwa nichts dafür, weil dem zuständigen Minister Glawe nicht klar war, dass das Breitband-Internet einer der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren ist, und er Pegel vielleicht hätte einfach nur fragen müssen?

Da sind wir aber was froh, dass unsere MPin nun durchzieht. Ein Zehn-Millionen-Programm will sie auflegen, um die Digitalisierung voranzubringen und Start-Ups zu fördern. Das ist ein Anfang. Vergleicht man den Anschubbedarf mal mit den Summen, die Berlin so erhält, wären jedoch allein für Rostock über 100 Millionen von Nöten. Eine solche Summe ist ohne Einwerbung von Risiko-Kapital nicht zu stemmen. Das aber sucht pfiffige Ideen, wobei sich die Katze wieder in den Schwanz beißt: Ohne innovative Wirtschaftspolitik wird die Feigenblatt-Förderung von ein paar Start-Ups keine Initialzündung sein.

Risiko-Kapital fragt darüber hinaus nach den Rahmenbedingungen, denn selbst die beste Wirtschaftspolitik gerät ohne Arbeitskräfte zum Papiertiger. Womit wir wieder bei den jungen Menschen wären, die MV verlassen. Es darf nicht dabei bleiben, dass – wie „Die Welt“ einmal schrieb – in MV schon Gold gefunden werden müsse, um Arbeitskräfte anzulocken. Auswanderung und Landflucht in die Städte kann nur mit guten Lebensbedingungen entgegengewirkt werden, und zwar sowohl auf dem Lande als auch in der Stadt. Akute Aufgabe der Sozialpolitik ist dem in den Städten grassierenden Flächenverlust für den gewinnorientierten Bau hochpreisiger Einfamilienhäuser und Eigentumswohnungen aufzuhalten und bezahlbaren Wohnraum bereitzustellen. Eltern bleiben im Land, wenn sie eine gute Versorgungssituation für die Kinder und Jugendlichen vorfinden und in deren Zukunft investiert wird. Die GroKo ist gut beraten, an der kostenlosen KiTa festzuhalten und die von Frau Schwesig in Aussicht gestellten 10.000 Ganztagschulplätze tatsächlich zu schaffen. Daneben sind Anstrengungen erforderlich, der gesellschaftlichen „Akademisierung“ entgegenzuwirken und dem Handwerk goldenen Boden zu bereiten. Eine wertvolle Maßnahme wäre die Etablierung von Ausbildungszentren für Lehr- und Fachberufe. Auch der von Minister Brodkorb eingeleitete Kulturkahlschlag muss revidiert werden. Kultur ist kein Luxus. Sie ist ein wichtiger Standortfaktor und – wichtiger noch – existentielle Grundlage einer humanitären, überzeugt demokratischen Gesellschaft.

Es steht allerdings zu Befürchten, dass viele der dringend notwendigen Maßnahmen nicht umgesetzt werden, denn die MPin hat angekündigt, den rigiden Sparkurs ihres Vorgängers Sellering fortführen zu wollen. Dabei wäre das inzwischen gar nicht mehr notwendig. Die Pro-Kopf-Verschuldung in MV ist stark gesunken und liegt mit ca. 6.400€ inzwischen weit unter der anderer Bundesländer bereits in Nähe des Niveaus von Baden-Württemberg (ca. 4.600€). Kluge Investitionen zahlen sich später wieder aus. Die Schere zwischen ländlicher und städtischer Region muss wieder geschlossen werden. MV darf nicht „zerspart“ werden, bis es abgeschlagen hinter den Entwicklungen anderer Bundesländer zurückbleibt.

Vielleicht lässt sich Frau Schwesig ja noch von Kursänderungen überzeugen? Dazu muss sie nur umsetzen, was sie angekündigt hat, nämlich an „Praxistagen“ in Betrieben und Einrichtungen arbeiten und sich den Alltag ihrer Landsleute genau ansehen zu wollen. Bleibt zu hoffen, sie wählt ihre Arbeitsplätze nicht nach Dahlemann’scher Manier. Den offenen und ehrlichen Dialog mit den BürgerInnen zu suchen, und dann genau zuhören, ist ein Ansatz, den Sellering, wenn überhaupt, nur halbherzig verfolgte, weswegen sich viele enttäuscht von ihm nach rechts abwandten. Frau Schwesig täte also gut daran, die Sorgen und Nöte der Vorpommern und Mecklenburger ernst zu nehmen. Auch die Partei FREiER HORIZONT hat Frau Schwesig in einem Brief den politischen Meinungsaustausch angeboten. Mal sehen, vielleicht kommt ja eine Einladung zum Gespräch?

[Dr. R. G. Mundkowski]