Offener Brief an Ministerpräsidentin Schwesig
Sehr geehrte Ministerpräsidentin, sehr geehrte Frau Schwesig,
seit einem Jahr ist das COVID19 Virus in der Welt und seit über einem dreiviertel Jahr auch in unserem Bundesland. Zu Beginn war noch sehr wenig bekannt über diese Krankheit. Klar war nur, daß es sich um eine Bedrohung bislang ungeahnten Ausmaßes handelte. Das gesamte öffentliche Leben herunter zu fahren, traf daher auf großes Verständnis der Bevölkerung, auch wenn rückblickend viele Maßnahmen weit überzogen erscheinen.
Mecklenburg-Vorpommern blieb im Frühjahr von der Pandemie nahezu verschont. Heute sind wir alle wenigstens etwas klüger: Den rigiden Lockdown-Maßnahmen des Frühjahrs war dies eher weniger zu verdanken. Auch nicht, daß dann den Sommer über Corona einen großen Bogen um Mecklenburg-Vorpommern machte. Eher wohl dem Wetter und den erfindungsreichen Gastronomen und Hoteliers, die gut funktionierende Hygiene
regimes errichtet hatten. In dem Zuge, wie die Temperaturen sanken, stiegen dann zunächst langsam, aber sicher, auch wieder die Infektionszahlen. Das war zu erwarten gewesen, doch ein Konzept, wie der sogenannten zweiten Welle begegnet werden sollte, war nicht zu erkennen. Statt dessen fiel man dann deutschlandweit angesichts eines immer mehr Fahrt aufnehmenden Infektionsgeschehens wieder in „bewährte“ Schemata vom Frühjahr zurück. Nur der Erfolg stellte sich leider nicht mehr ein.
Seit dem Mittelalter sind die Prinzipien der Abriegelung und das Maskentragen bekannt und in gewisser Weise bewährt. Im März / April war das mangels Alternativen wohl noch angebracht. Wir jedoch leben in der Neuzeit in einer demokratischen Ordnung mit selbstbestimmten Menschen und anderen technischen Möglichkeiten. Und uns stehen zur Bekämpfung einer Pandemie weit bessere und effektivere Methoden zu Verfügung als im Mittelalter. Wir fragen uns und Sie jedoch: Warum nutzen wir sie – wenigstens ergänzend – nicht in dem Maße, wie es erforderlich wäre?
Nach wie vor läuft man den Ereignissen hinterher, ist nicht Herr der Lage. Die Fall Erkrankungs- und Todeszahlen steigen weiter rasant, trotz immer schärferer Restriktionen. Wir sind auf bestem Wege, die Kontrolle über das Infektionsgeschehen zu verlieren. Aus dem Vereinigten Königreich ist bereits eine neue, noch ansteckendere Virusmutation auf dem Wege zu uns, möglicherweise ist sie längst unter uns oder eine andere Variante des Virus. Auch darüber wissen wir zu wenig, denn in Deutschland wird auch viel zu wenig sequentiert. Wir wissen auch immer noch nicht genug über das Infektionsgeschehen, beispielsweise an unseren Schulen, belastbare Studien lassen noch keine Tendenz erkennen.
Wir stolpern jedoch nach gut einem dreiviertel Jahr immer noch nahezu blind durch die Pandemie, wir wissen nach wie vor nicht ausreichend genau, wie sich die Infektion eigentlich ausbreitet. Ein Grundproblem ist eine nicht überzeugende Teststrategie: Nach wie vor werden in erster Linie nur klinisch Auffällige getestet. Der PCR-Test ist zwar sehr genau, braucht aber seine Zeit. Mit dieser Test-Strategie läuft man dem Infektionsgeschehen konstant hinterher!
Mittlerweile stehen uns aber zusätzlich hinreichend genaue Schnelltests zur Verfügung. Sie werden derzeit jedoch nur sporadisch eingesetzt. Dabei liegen ihre Vorteile auf der Hand: Das Ergebnis liegt zeitnah vor und ist damit viel aktueller als jeder PCR-Test. Sie sind mittlerweile preiswert, können an jedem Ort eingesetzt werden, und das beliebig oft wiederholbar. Die Prozeduren sind mittlerweile technisch so einfach, daß sie auch von eingewiesenen Laien durchführbar sind. So ermöglichen sie, und das ist das entscheidende, „stumm infizierte“ auszumachen. Auf diese Weise lassen sich Infektionsketten vermeiden bzw. zeitnah nachverfolgen. Bei strategischem Einsatz könnten sie also eine Schlüsselrolle übernehmen, der Pandemie Herr zu werden. Derzeit kommen Schnelltests in erster Linie in Pflegeheimen zur Anwendung oder werden punktuell von Privatanbietern angeboten.
Wir schlagen dringend vor, Schnelltests deutlich auszuweiten und zu einem wesentlichen Teil der Pandemiebekämpfung aufzuwerten! Denn Schnelltests können Leben retten und sie sind gesundheitlich unbedenklich! Wie könnte das ablaufen? Zunächst wären die Grundprinzipien klarzustellen: Dokumentation, Wiederholung bzw. Absicherung positiver Schnelltestbefunde durch einen anschließenden PCR-Test. Selbstverständlich zöge ein positiver PCR-Testbefund eine Quarantäne und Kontaktnachverfolgung nach sich. Schnelltests sollten möglichst überall dort gemacht werden und verfügbar sein, wo Menschen Kontakt haben: Schulen und Bildungseinrichtungen jeder Art, Pflegeheime und Seniorenwohnheime, Arbeitsstätten mit vielen Arbeitnehmern, nicht zu vergessen der Grenzverkehr.
Schrittweise, bei Vorliegen genügender Erfahrungen und sinkenden Inzidenzwerten, wären so auch bald z.B. kulturelle und andere Veranstaltungen mit wenigen Einschränkungen wieder durchführbar, ebenso Gastronomie, Tourismus und Einzelhandel. In den Schulen wäre wieder Präsenzunterricht möglich – für alle Altersstufen. Es ergäbe einen Synergieeffekt: Das schrittweise Wiederhochfahren des öffentlichen Lebens, begleitet durch laufende Testungen, würde gleichzeitig dazu beigetragen, das Infektionsgeschehen besser zu kontrollieren.
Sicher, es ist starke Überzeugungsarbeit, sicher auch Durchsetzungsvermögen und eine gewaltige Logistik vonnöten. Doch wir haben es mittlerweile mit der schwersten Herausforderung für unsere Gesellschaft nach dem Krieg zu tun, da gilt es alle Kräfte zu bündeln und alle Bürgerinnen und Bürger mitzunehmen. Ein paar Vorschläge, wie das vonstatten gehen könnte: Beispielsweise auf Usedom hat die Hotelbranche bereits vorgelegt. Die Bundeswehr wird teilweise in Pflegeheimen eingesetzt. Da wären z.B. eine Menge Medizinstudenten, deren Lehrbetrieb ohnehin auf Sparflamme läuft, einsetzbar. Die könnten andere Studierende aus nichtmedizinischen Richtungen anleiten. In Schulen könnten eingewiesene Schüler älterer Jahrgänge die Schnelltestungen übernehmen. Alles natürlich unter größtmöglichen Sicherheitsvorkehrungen für die Testenden. In den größeren Städten unseres Landes könnten Schnelltestzentren eingerichtet werden, angedockt an Impfzentren.
Dies zur offiziellen Teststrategie des öffentlichen Bereichs. Sicher gäbe es noch eine Reihe weiterer Ideen. Kreativität ist angezeigt.
Zusätzlich besteht ein großes Bedürfnis in der Bevölkerung, sich gegenseitig zu schützen. Es spricht mittlerweile nichts mehr dagegen, zusätzlich gut praktikable Schnelltests auch kostengünstig frei verkäuflich anzubieten. Das zuweilen angeführte Argument, Schnellteste würden unsachgemäß angewendet und falsche Sicherheit suggerieren, zeugt von tiefem Mißtrauen gegenüber selbstbestimmten und verantwortungsbewußten Bürgern. Und in deren Fähigkeiten. Allerorten wird Bürgern zugetraut, bei Notfällen Defibrillatoren anzuwenden. Dagegen traut man ihnen einen simplen Schnelltest mit Anwendungsanleitung nicht zu? Auch wenn bei Selbstanwendung vielleicht keine ganz so hohe Testgenauigkeit zu erwarten ist: Jede im Vorfeld entdeckte stumme Infektion hilft, Neuinfektionen zu vermeiden und so die Fallzahlen zu senken. Zur Aktzeptanzsteigerung könnte man die Schnelltests analog der Maskenausgabe über Apotheken verteilen.
Alle Hoffnung der Politik richtet sich jetzt auf die Impfung. Es ist eine große Leistung der Wissenschaftler, in solch kurzer Zeit Impfstoffe entwickelt zuhaben. Das war nicht selbstverständlich! Doch in der Bevölkerung bestehen große Bedenken, insbesondere diese kurze Entwicklungszeit betreffend. Selten gab es eine so geringe Bereitschaft, sich impfen zu lassen, sicher sind da auch etliche irrationale Vorbehalte im Spiel. Ohnehin läuft die Bereitstellung der Impfstoffe schleppend er muß ja erst produziert werden.
Bis die Impfungen die erhoffte Wirkung erzielen können, wird also voraussichtlich noch geraume Zeit vergehen. Zeit, in der Menschen erkranken und sterben, Zeit, in der ganze Branchen wie z.b.Tourismus, Einzelhandel und Veranstalter in den Ruin getrieben werden, in der in Schulen und Universitäten kein effizienter Lehrbetrieb mehr gewährleistet ist.
Es ist an der Zeit, umzudenken. Wir müssen in die Offensive gehen und versuchen, so schnell wie möglich und nachhaltig das Infektionsgeschehen unter Kontrolle zu bekommen. Schnelltests retten Leben! Im Vereinigten Königreich und anderswo ist man bereits so weit, diesen Schritt zu gehen. In Deutschland noch nicht.
Wir könnten in Mecklenburg-Vorpommern eine Vorreiterrolle spielen und bald in eine Normalität zurückkehren, wenn wir schnell handeln: Jede Apotheke könnte eine Schnelltestausgabestation sein und Impfzentren könnten zusätzlich auch Schnelltests durchführen! Sie sind am Zuge, Frau Schwesig!
Norbert Schumacher & Heiko Böhringer
Vorsitzende der Partei FREiER HORIZONT